P. Schwartz-Wort für den Monat August

Da manche lieben Brüder mit der Novizen-Regel gar nicht bekannt sind und damit auch dieselbe denjenigen, die in ihrer Noviziatszeit mit ihr schon vertraut wurden, im Gedächtnisse aufgefrischt werde, habe ich es für gut gehalten, diese Novizen-Regel auch den Professen zu erklären. Das erste Kapitel „Über den Gehorsam“ beginnt unser hl. Vater [Josef Calasanz] mit einem wichtigen Satze. Er sagt: „Der Ordensmann soll sich als unwissend und unerfahren auf dem angetretenen neuen Wege nach Jerusalem, der Vollkommenheit, erkennen.“ Sehen Sie, meine lieben Brüder, dies ist von großer Wichtigkeit. Der hl. Ordensvater legt da die Tugend der Demut als Unterpfand, als Grund der Tugend des Gehorsams unter. Es verlangt der hl. Vater, wir sollen uns selbst misstrauen, wir sollen uns schwach und unwissend, ganz unerfahren auf dem Wege des geistlichen Lebens fühlen. Da soll sich niemand von uns einbilden: Ich weiß ja schon genug, ich habe schon so viel gelesen, ich brauche niemanden mehr. Nein, meine lieben Söhne, wenn wir in allen anderen Dingen und Geschäften die G’scheitesten wären, so sollen wir uns hier, in diesem Geschäfte des Heiles, stets als Unkundige und Unerfahrene betrachten und es fühlen und einsehen, dass uns in diesem einen Notwendigen ein Führer notwendig ist. Ein Mensch, der in einer Sache unwissend ist und es fühlt, ja, der lässt sich gewiss gerne von anderen belehren, der streitet nicht hartnäckig, er gibt gerne nach. Warum? Weil er es fühlt: „Ich verstehe die Sache nicht, ich weiß es nicht!“ Oder ein Schwacher, der seine Schwäche kennt, der lässt sich gewiss nicht mit einem Starken in einen Streit und Zweikampf ein! Der wird nicht andere herausfordern: „Komm nur, ich geb‘ dir schon!“ Nein, der wird gerne still sein und den Frieden zu bewahren streben, weil er sich eben schwach und unvermögend fühlt. Was man nicht weiß, das fragt man gerne und man lässt sich belehren. Wenn z.B. ein Fremder, der sich hier in Wien nicht auskennt, am Stephansplatz steht und von da nach Hütteldorf gehen soll, ja wohin, auf welche Seite, durch welche Gassen soll er sich begeben? Er weiß es nicht, und darum fragt er und erkundigt sich nach dem Wege. Er geht ein Stückchen Weges und fragt dann wieder, dass er ja nicht irre gehe.

sel. P. Anton Maria Schwartz, Konferenz an die Mitbrüder vom 8.5.1896