P. Schwartz-Wort für den Monat September

Wir als Ordensleute sind verpflichtet, nach der Vollkommenheit zu streben, wir brauchen aber auf diesem Wege zur Vollkommenheit einen Führer, der uns sicher hinleitet. Wer soll denn dieser Führer sein? Es ist das derjenige, den uns der himmlische Vater selbst gegeben hat, Jesus Christus, bei seiner Verklärung auf dem Berge Tabor, wo Gott Vater seine Stimme erschallen ließ: „Dieser ist mein geliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe: Diesen sollt ihr hören.“ [vgl. Mt 17,5] Jesus sollen wir hören, der ist unser Lehrmeister und Führer! Aber es gibt leider auch noch manche andere Lehrmeister, die sich auch zu Führern machen, die auch Christus heißen wollen. Diese aber sind nur die „falschen Propheten“, wie sie der liebe Heiland nennt [vgl. Mt 7,15]; diesen sollen wir kein Gehör schenken und wenn uns jemand sagt: „Siehe, dort ist Christus“, so glauben wir es nicht! [vgl Lk 17,23] Diesen falschen Führern sind die Grundsätze Jesu gerade zuwider, und sie sagen gar zu oft: „Diese Rede ist hart, wer kann sie hören!“ [vgl. Joh 6,60] Wir haben nur einen Führer, welcher ist, wie der Apostel sich ausdrückt: Jesus Christus, und nur diesen sollen wir hören. Wir wollen uns aber diese falschen Führer etwas näher ansehen, und wir werden es im Laufe dieses Vortrages erkennen, daß die Grundsätze dieser falschen Lehrer schnurgerade den Lehren Jesu zuwider sind. –

Wer sind nun diese falschen Führer? Der erste ist gar nicht weit von uns, der ist uns immer sehr nahe. Es ist das niemand anderer als: Ego ipse! – Das eigene Ich! Dieser stellt sich ja gar zu sehr als Lehrer auf und betrachtet sich als einen gar zu wahrhaften Lehrmeister. Wenn man aber einem solchen etwas von Selbstverleugnung, von Demut sagt, – ja, da kommt man gerade zu dem Richtigen! „Demütig sein, sich selbst verleugnen, das wäre e]was Sauberes! Ich kann mit meinen Talenten soviel leisten, und ich soll mich von allen mit Füßen treten lassen und als ein Dummer angesehen werden? So g’scheit bin ich schon, daß ich weiß, was ich tun und wie ich leben soll! Ich brauche keine Religion. Die Religion ist da für arme und dumme Leute, die nicht denken können, nicht aber für gelehrte und gescheite! Das ist lauter Dummheit, Übertriebenheit und Unsinn, was da von Religion gelehrt wird!“ Sehen Sie, meine lieben Söhne, so spricht dieser Führer, das eigene Ich! Nicht wahr, dieser Geist ist verschieden von dem Geiste Jesu. Dieser sagt: „Verleugne dich selbst! Sei demütig!“ Das eigene Ich sagt: „Das ist Torheit und Dummheit.“ Wem wollen wir also folgen? Gott Vater sagt uns: „Jesum, meinen vielgeliebten Sohn, sollt ihr hören!“ Das Ich sagt: Folge mir! Wer ist der sichere Führer von beiden? Jesus ist wahrer Gott und kann als Gott sich nie irren. So wenig also Jesus sich irren kann, um so weniger kann jene Seele auf Irrwege gebracht werden, die sich unter die Leitung Jesu Christi stellt: Es ist also der liebe Heiland unser wahrer, unfehlbarer und sicherer Führer.

Der zweite falsche Lehrer ist unser Herz mit seinen Leidenschaften. Wer seinem Herzen und seinen Neigungen folgt, kann unmöglich ein Schüler Jesu Christi sein und kann auch deshalb nicht den Weg der Vollkommenheit wandeln. Denn es sagt der liebe Heiland: „Wer seine Seele liebt, der wird sie verlieren, und wer seine Seele haßt in dieser Welt, der wird sie bewahren.“ [vgl. Joh 12,25] Seine Seele hassen heißt, den Gelüsten und Leidenschaften des Herzens widerstehen, dieselbe abtöten. Wir müssen also unser Herz hassen, wenn wir selig werden wollen. Daß unser Herz, welches uns zur Nachgiebigkeit und Einwilligung in seine bösen Neigungen reizt, ein falscher Lehrer und Führer sei, können wir daraus ersehen, welch‘ ein Unheil und die schrecklichsten Verbrechen die Befolgung der Leidenschaften schon in der Welt angerichtet hat! Was wurde durch den Zorn schon alles verübt, wie viele Mordtaten! Wie viel Böses ist schon durch den Neid, durch Geiz in der Welt angerichtet worden! Welche schrecklichen Ungerechtigkeiten sind schon in der Welt durch Ehrgeiz und Ehrsucht geschehen!? Daraus ersehen wir, daß unser Herz nicht der rechte Führer sein kann. Wenn ein Blinder einen anderen Blinden führt, so fallen beide in die Grube. Wir sind von Natur aus durch die Sünde blind, und wenn wir uns den Neigungen unseres Herzens überlassen, so werden wir von einem blinden Führer geführt, und wohin wird man kommen? Man kommt bis in den Abgrund der Hölle!

Der dritte Führer ist die Welt. Der Geist der Welt ist schnurgerade dem Geiste Jesu entgegen. Was Jesus verbietet, das liebt die Welt, was Jesus liebt, das haßt die Welt. Die heutige Welt behandelt Jesum und seine Lehre ebenso wie damals die Juden Jesum behandelt haben; es ist Jesus, Gott verzeihe mir diesen Ausdruck, ein Tor der heutigen Welt. Sie tritt die Gebote Gottes und der Hl. Kirche mit Füßen, verlacht und verspottet alles, was den Namen Jesus trägt. Sie faßt die Lehre Jesu ganz anders auf und versteht sie auch ganz anders. Wenn z.B. junge Leute ins Kloster gehen wollen, da werden sie ausgelacht. Man sagt ihnen: „Seid ihr noch gescheit? Ins Kloster wollt ihr euch einsperren lassen? Seht ihr nicht, wie euch die Welt alles anbietet, und ihr wollt das alles verlassen? Seid doch nicht so dumm und solche Narren!“ Sehen Sie, meine lieben Söhne, wie es dem Geiste Jesu widerspricht. Was möchten uns wohl die Weltleute sagen, wenn die uns sehen würden, wie wir den Boden küssen, einander die Füße küssen, die Speise auf dem Boden sitzend nehmen; die werden wohl spöttisch uns auslachen und sagen: „Die haben schon die Vernunft verloren, es sind lauter Narren! Die verdienen wahrhaft nichts anderes, als daß man sie durchprügelt!“ Sehen Sie, weil die Weltleute es nicht verstehen, den Geist Jesu nicht haben, deshalb ist das in ihren Augen reine Torheit. Jesus verlangt von uns, daß wir um seinetwillen Toren sein sollen. Er gibt uns hier sein Kreuz; die Welt suchet nur das Sinnliche und haschet nach dem Fleischlichen.

Wir sehen also, wie diese drei falschen Führer irren, und wie ihre Grundsätze nichtig sind. Wir müssen also ernstlich trachten, die Lehre Jesu, die uns da gegeben wird, in unser Herz aufzunehmen und sie zu befolgen; wir müssen uns selbst zu verleugnen wissen und keinem von diesen drei falschen Lehrmeistern Gehör schenken.

Sel. P. Anton Maria Schwartz, Konferenz  an die Mitbrüder vom 7.5.1896